Polospieler I

Zu jener Zeit, als der Islam noch nicht die Vielweiberei in den fruchtbaren Gefilden des stolzen Persien eingeführt hatte und der mäßige Genuß berauschenden Weines noch nicht zum Laster ernannt worden war, lebte Prinz Rostam, vor dem die Berge zitterten.

Auch die Frauen galten in jenen Tagen mehr als sie heute unter den schwarzen Schleiern verbergen. Sie kämpften mit der Waffe in der Hand und ließen sich beim Polospiel nur ungern von den Männern besiegen. Zum Zeichen ihrer Macht trugen sie beim Sport und Kampf Hosen und wählten lange, ehe sie sich für den Vater ihrer Kinder entschieden.

Als Rostam in einem Kampf gesiegt hatte, veranstaltete er ein Pferderennen. Sein Sohn Siawosch ritt einen pechschwarzen Hengst, den nur er allein bändigen konnte. Das Rennen dauerte vom Morgen bis die Sonne in der Mitte des azurblauen Himmels stand. Keiner der fünfzig Ritter konnte Siawosch besiegen.

Da kam durch den dunklen Wald ein schneeweißes Roß in einer Wolke von Staub herangejagt; eine jugendliche, verschleierte Gestalt saß auf dem Pferd. Nach der alten Sitte Persiens rief Siawosch dem unbekannten Reiter entgegen: „Nenne deinen Namen und deine Herkunft!« Da antwortete der verschleierte Ritter mit dunkler Stimme: „Entweder werde ich stürzen und unter den Hufen der Pferde sterben, dann wirst du auf meinem Armreifen Namen und Herkunft lesen, oder ich werde dich besiegen, dann kannst du mich unverschleiert sehen, und ich werde meinen Namen nennen.“

Als das Wettrennen mit dem unbekannten Ritter durch die. weite Ebene begann, sah man, soweit das Auge blickte, die beiden Pferde nebeneinander dahinjagen. Keiner der Ritter konnte den anderen besiegen – bis endlich Siawosch kurz vor dem Ziel seinem schwarzen Hengst die Sporen gab und einen kleinen Vorsprung gewann. Verzweifelt warf sich der andere Reiter vom Pferd. Dabei glitten Kappe und Schleier von seinem zierlichen Haupt, schwarzes Haar fiel auf die Schultern, und ein von Anstrengung blutrot gewordenes Mädchengesicht von unvergleichlicher Schönheit zeigte sich den bewundernden Blicken. Voll Erstaunen und Glück sprang Siawosch von seinem Hengst und fragte das Mädchen, wer sie sei.

Da warf das Mädchen ihm ihre goldene Kugel entgegen und rief: „Mich hat noch niemand zu besiegen gewagt. Du sollst diese goldene Kugel und damit das Herz der unbesiegbaren Homa, der Tochter des Königs, besitzen.“

Es gab die größte Hochzeit im Lande. Rostam schenkte den Liebenden eine Zauber-Ottomane. Wenn sie beide darauf ruhten, genügte ein Befehl – und die Ottomane trug sie durch die ganze Welt, damit sie alle ihre Herrlichkeiten erblickten.

Akefeh Monchi-Zadeh

Das Märchen „Siawosch und Homa“ erschien 1956 in der DDR-Kulturzeitschrift „Das Magazin